Welche Werte haben Jugendliche? Ein Wertediskurs mit Jugendlichen oder uns selbst …

… ein Artikel aus dem Diskurs vom Frühjahr 2019 – Jugend, Politik & Werte.

Egal in welcher Epoche wir suchen, wir finden immer wieder die Aussage der älteren Generation, die jüngere Generation hätte keine Werte, keinen Anstand, keine Moral mehr. In der Arbeit mit Jugendlichen ist es wichtig zu überlegen, welche Ideale wir leben und warum wir diese als erstrebenswert erachten. Und wann und warum sie uns bei unserer Aufgabe im Weg stehen können.

„Wir kommunizieren auf Augenhöhe.“ „Wir arbeiten mit den Jugendlichen, nicht für die Jugendlichen“. Das sind zwei Aussagen, die uns geläufig sind. Was heißt es aber wirklich, wenn ich in eine Kommunikation oder gar in eine Diskussion mit Heranwachsenden gehe? Gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Warum möchte ich auf Augenhöhe kommunizieren? Und was könnte mich daran hindern? 

Unsere Werte können uns beispielsweise daran hindern, wirklich auf einer gleichen Ebene in einen Diskurs zu kommen. Wenn ich von einigen Werten meiner Generation ausgehe, wie „das Handy nur bewusst zu nutzen“, „Social-Media-Zeit reduzieren“, „mehr Zeit mit FreundInnen verbringen“, dann werte ich automatisch die Lebenswelt der Jungen ab. Für sie ist diese Form der Kommunikation enorm wichtig. Sei es aus pädagogischer Sicht auch noch so oft bestätigt worden, dass eine intensive Nutzung digitaler Medien für die psychische und soziale Entwicklung nicht gesund sei, so muss ich mir meiner Haltung doch bewusst sein, bevor ich mit Jugendlichen arbeiten möchte. Meine Haltung zu ihrer Lebenswelt wird sich in meiner Reaktion, Sprache und Körperhaltung widerspiegeln, wenn diese Themen zur Sprache kommen. Pubertierende nehmen jede Nuance einer Ablehnung wahr. Das kann ein großes Hindernis für eine vorurteilsfreie Kommunikation, und für eine echte Auseinandersetzung auf Augenhöhe sein. 


Junge Menschen bewegen
Warum wollen wir auf Augenhöhe kommunizieren? Das Erziehen und Lehren von oben herab, das in der Schule und in der Ausbildung mit jungen Menschen manchmal so unverzichtbar erscheint, erreicht Heranwachsende nicht mehr. Es fördert eher deren Widerstand gegen das, was vermittelt werden will. Jugendliche wollen selbst erfahren, nach dem Warum fragen, eine intensive Auseinandersetzung spüren und dazu braucht es Zeit und Raum zur Selbstreflexion. Mut zur Lücke und Stille, zum Zuhören und Nachfragen kann das fördern.

Werte vorleben
Interessant ist, was sich in der Qualität der Beziehungen ändert, wenn wir ohne – unbewusste – Vorurteile Menschen begegnen. Wenn wir der selbst auferlegten Rolle bewusstwerden und beides hintenanstellen. Natürlich können auch Personen in der Jugendarbeit nicht ohne Werte leben. Die Frage ist nur, ob sie explizit den Heranwachsenden in der Arbeit kommuniziert werden müssen beziehungsweise sie von deren „Richtigkeit“ überzeugt werden sollten. 

Ein anderer Ansatz wäre zu überlegen, welche Werte mir selbst denn wichtig sind. Die spiegeln sich auch in meinem Tun wieder. Werte formen schließlich laut Definition erstrebenswerte Eigenschaften, Ideen und Charaktereigenschaften, die soziale Normen, also Handlungsanweisungen im sozialen Umgang festschreiben. Weiter gedacht, wie gehe ich mit unterschiedliche Meinungen um? Eine sachliche Diskussion und gegenseitige Offenheit fördern ein gesundes Miteinander in der Arbeit mit Jugendlichen und den sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft, die Pluralismus „aushält“ und ihn nicht per se als persönlichen Angriff auf ein traditionalistisch verankertes Selbstbildnis versteht.

Auf Wertesuche
Wir befinden uns gerade in einer Zeit, in der grundlegende Werte wie die Menschenrechte, die Demokratie und die Vorteile des Sozialstaates mehr und mehr in Frage gestellt werden. Zu Beginn der 2. Republik, war – überspitzt gesagt, bereits mit der Geburt festgelegt, welchen Werten man sich in der Familie verschrieben hat. Nicht umsonst war man beispielsweise Parteimitglied von der Wiege bis zur Bahre. Oder KatholikIn von der Wiege bis zur Bahre. Mehr oder weniger wussten die Wählenden, dass ihre Partei auch ihre Interessen vertritt. ArbeiterInnen wählten SPÖ, Bauern und GroßbürgerInnen ÖVP, konservativ-nationale ÖsterreicherInnen FPÖ. Dann entstanden noch an der Konfliktlinie Materialismus und Postmaterialismus die Grünen, die sich für ökologische Themen einsetzten. Doch heute sind die Wählenden, aber auch die Parteien flexibler. Da gibt es manchmal eine SPÖ, die FPÖ-Themen besetzt. Es gibt Grüne, die nicht mehr ganz so ökologisch „regieren“, es gibt türkise Schwarze und eine neue pinke Mitte. Die Parteien passen sich an die Schnelllebigkeit unserer Zeit an. An welchen Werten sollen sich die Jugendlichen denn orientieren, wenn sogar die Menschenrechte in Frage gestellt werden, ohne dass dies mit allseits großem Protest als Tabubruch verurteilt wird? Die letzten Jahre waren geprägt von Fake News, Hate Speech, Social Mobbing, „alternativen Fakten“ und Sündenböcken. Eine Zeit, in der es selbst für Erwachsene schwierig, scheint zwischen echten und falschen oder zwischen guten oder schlechten politischen Entwicklungen zu unterscheiden. Es scheint, als bliebe kein Stein auf dem anderen. Umso wichtiger ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen, einen sicheren Kompass und ein gutes Selbstbewusstsein zu entwickeln, um durch stürmische Zeiten navigieren zu können. Vielleicht sollten wir bei uns selbst beginnen und uns fragen: Für welche Werte würden wir auf die Straße gehen? Warum gehen wir so selten auf die Straße oder zur Wahlurne? Und dann nehmen wir uns ein Beispiel an der 16-jährigen Umweltaktivistin Greta Thunberg, die uns nicht ohne Grund den Kopf wäscht: „Wir dürfen nicht wählen. Und die Erwachsenen? Die gehen nicht hin“. (welt. de, 01.03.2019).