Verbindende Autorität: eine Weiterentwicklung

Liebe Leser*innen, was sind wesentlichen Aspekten rundum die Beziehungsgestaltung auf allen Ebenen? Etwa: Wie wir Beziehungen aufbauen, welche Rolle Scham und Traumata dabei spielen, wie Bindung die Beziehungsgestaltung beeinflusst, was eine verbindende Autorität und die Ankerfunktion beitragen können usw. – der diesjährige Kongress von PINA (Praxis und Innovation – Neue Autorität) widmet sich genau diesem Thema und zur Einstimmung finden sich hier alle zwei Wochen, interessante Beiträge von Referent’innen des Congress.

Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, dass ich im Dezember 2005 Haim Omer zum ersten Mal gehört habe. Es gibt Momente im Leben, in denen man nicht nur mit seinem Kopf, sondern auch mit seinem Herzen zuhört. Das war so ein Moment. Omers Vortrag war sehr innovativ und ermutigend und ich habe sofort das Buch Nonviolent Resistance, a new approach to violent and self-destructive children gekauft (und 2 Jahre später in die niederländische Sprache übersetzt). Ich arbeitete schon mehr als 20 Jahre mit Familien und Eltern und manchmal habe ich gedacht: Was jetzt? Vor allem, wenn die Jüngern nicht zur Therapie kommen wollten, die Sorgen sehr groß und die Elternberatung nicht erfolgreich war. Damals hat mir Haim Omer eine neuen Weg gezeigt, der mir bis heute Inspiration gegeben hat.

Gewaltfreier Widerstand gab machtlosen Eltern und ihren oft ebenso machtlosen Therapeut:innen Hoffnung und konkrete Interventionen in Situationen, in denen die üblichen Behandlungsansätze nicht wirksam waren. Später entwickelte sich diese Philosophie zu mehr als einem Behandlungsprotokoll oder einem pädagogischen „Werkzeugkasten“ für spezifische Verhaltensprobleme. Gewaltfreier Widerstand erwies sich auch als solide Grundlage und Inspirationsquelle für Autoritätsbeziehungen in Erziehung, Schulen, Gemeinden und Organisationen. Omer beschrieb eine „neue Autorität“, die eher Verantwortung als Macht impliziert und Verbindung statt Abstand und Angst bietet: Stärke statt Macht.

Gewaltfreier Widerstand in Kombination mit Systemischer Theorie und Bindungstheorie hat viele Möglichkeiten gegeben: als therapeutische Methode und als Idee, wie Eltern, Lehrpersonen, Gruppenleiter:innen, Gemeindebeamte und Führungskräfte  ihre Autorität erfüllen können mit einer Haltung von Ruhe, Transparenz und Verbundenheit in Kombination mit klaren Grenzen. Sowohl Eltern als auch Fachkräfte reagierten sehr positiv.

Aus meiner Sicht verdienen die Ideen von Haim Omer einen Titel, der die zentrale Idee dieser Autoritätsform direkt deutlich macht und der länger Bestand hat als „Neue Autorität“. Denn wie lange bleibt etwas neu? Sowohl im gewaltfreien Widerstand als auch in der Bindungstheorie und Systemtheorie sind Beziehung und Verbindung grundlegende Konzepte. Deswegen haben mein Kollege Hans Bom und ich den Begriff verbindende Autorität als Alternative zu neue Autorität vorgeschlagen (Niederländisch: verbindend gezag; English: connecting authority; Französisch: autorité relationelle).

Eine letzte Weiterentwicklung in meiner Praxis ist der Fokus auf die verbindende Autorität des systemischen Elternberaters. Wir wünschen eine Änderung in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, aber wie können wir diese Beziehung beeinflussen? Wir können Eltern nicht kontrollieren und haben nur Kontrolle über unser eigenes Verhalten. Es ist sehr wertvoll, das als parallelen Prozess ernst zu nehmen: der Wert der verbindende Autorität für die Beziehung zwischen Therapeuten und Eltern. Jedes Treffen mit Eltern beginnt mit einer guten Beziehung. Das ist nicht nur aus Güte, sondern auch weil die Qualität der therapeutischen Beziehung ein konsistenter Prädiktor für den Behandlungserfolg ist. Wir tragen aber auch Verantwortung in Bezug auf körperliche und emotionale Sicherheit von Kindern. Als systemische Elternberater sind wir nicht nur Helfer, sondern auch Autoritätspersonen. Das heißt, dass man gelegentlich auch den Mut braucht, gewaltfreien Widerstand gegen elterliches Verhalten anzuwenden. Umso wichtiger ist es dann, dass die Verbindung mit den Eltern stark genug ist: `first connect, then correct‘. Die Prinzipien und Interventionen der verbindenden Autorität geben uns die Kraft, Sprache und Haltung, um das in respektvoller Weise zu verwirklichen. Sehr wichtig ist dabei, niemanden zu dämonisieren, sondern ein Anker zu sein und bleiben für Eltern und Kinder.

Die verbindende Autorität gibt uns als Therapeuten was wir brauchen,
damit wir Eltern geben können, was sie brauchen,
damit sie ihren Kindern geben können, was sie brauchen …

Das wertvollste Geschenk für Kinder ist es, wenn wir ihre Eltern wirklich unterstützen und stärken.

Eliane Wiebenga wird im Rahmen vom „PINA Kongress #4“ (7.-9. September 2022 in Feldkirch) einen Vortrag zur „verbindenden Autorität“ halten.

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