Studie: Schulzeit, Freizeit und soziale Entmischung

Eine vergleichende Analyse des Freizeitverhaltens an sieben Vorarlberger Schulstandorten

Das Forschungsprojekt im Auftrag der Abteilung Wissenschaft und Weiterbildung im Amt der Vorarlberger Landesregierung befasst sich mit einem Vergleich der Freizeitgestaltung von SchülerInnen an sieben verschiedenen Schulstandorten der Sekundarstufe I in Vorarlberg. Es verweist auf die Bedeutung des Verhältnisses zwischen einer selbstgesteuerten, eigenaktiv gewählten und einer in kollektiv-institutionalisierten Strukturen verbrachten Freizeit für die Anschlussfähigkeit in der Schule. Der Anteil an diesen beiden Formen der Freizeitgestaltung variiert stark abhängig von den Gelegenheitsstrukturen der Jugendlichen.

Für das Erkenntnisinteresse dieser Studie ist entscheidend, dass sich die unterschiedlichen Formen und Typen der Freizeitgestaltung auf die Anschlussfähigkeit an Schule und Arbeitsmarkt auswirken. Ausschlaggebend dafür ist die Passung zwischen den Anforderungen der Schule und denen der Freizeit. Wenn sich die Anforderungsprofile überschneiden, ist es für die Schüler möglich, Fertigkeiten, die sie in der Freizeit im informellen Lernen erwerben, in die Schule zu transferieren (transferable skills) und für das formale Lernen (kognitiv-akademisches Lernen) zu nutzen. Aus dem Ausmaß der Übereinstimmung in den Anforderungen ergibt sich der Grad der Passung. Je mehr Bezugspunkte es also zwischen den Fertigkeiten in Schule und Freizeit gibt, desto höher ist die Passung beziehungsweise die Anschlussfähigkeit.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zeigen, dass sich der Anteil der SchülerInnen, die in einem Verein aktiv sind, von Schulstandort zu Schulstandort – abhängig von der lokalen Verortung und Einbindung der SchülerInnen und ihrer Eltern – unterscheidet. Für das schulische Lernen ist relevant, dass SchülerInnen, die in einem Verein aktiv sind, einen Teil ihrer Freizeit in einem strukturierten Angebot unter Aufsicht und Anleitung von Erwachsenen verbringen und dabei lernen, Aufgaben und Ziele in Kooperation mit anderen umzusetzen. Ähnliches gilt für SchülerInnen, die regelmäßig im Betrieb der Eltern, beispielsweise in der Land- oder Gastwirtschaft, mitarbeiten. Sie erlernen im Alltag Fertigkeiten, die für das Lernen in der Schule wichtig beziehungsweise auf dem Arbeitsmarkt gut anschlussfähig sind.

Jugendliche hingegen, die einen großen Teil ihrer Freizeit selbstgesteuert, also ohne vorgegebenes Ziel und ohne Aufgabe sowie ohne Aufsicht durch Erwachsene, mit Freunden in Einrichtungen (beispielsweise Einkaufszentren) und auf Plätzen (Parks, Sport- und Spielplätzen, Skaterparks etc.) oder alleine zu Hause verbringen, nützen diese Zeit oft für Beschäftigungen wie „shoppen“ oder „zocken am Computer“. Die bei diesen Freizeittätigkeiten erworbenen Fertigkeiten sind in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt bisher wenig verwertbar.

Die SchülerInnen in den untersuchten Klassen unterscheiden sich in ihrem Freizeitverhalten vor allem durch die unterschiedlichen Gelegenheitsstrukturen und Möglichkeitsräume; dadurch sind sie auch unterschiedlich anschlussfähig an Schule und Arbeitsmarkt.

Die Gelegenheitsstrukturen und Möglichkeitsräume hängen von der sozialräumlichen Verortung und Eingebundenheit der Familie sowie den Ressourcen für den Zugang zu unterschiedlichen Freizeitangeboten in der Familie, Nachbarschaft und im Freundeskreis ab. Diese Personen fungieren als Schlüssel- und Bezugspersonen und ermöglichen über ihre Ressourcen den Zugang zu Aktivitäten und Angeboten in institutionalisierten Settings (ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital).

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Freizeitaktivitäten lässt sich mit dem Grad der kollektiven versus individuellen Steuerung beschreiben. An einem Ende der Skala befinden sich Jugendliche, die ihre Freizeit vorwiegend in kollektiv-institutionalisierten Strukturen mit vorgegebenen Inhalten und Zielen, die mit gemeinsamen Werten und Normen verbunden sind und in dafür definierten Räumen stattfinden, verbringen. Am anderen Ende der Skala befinden sich Jugendliche, die ihre Freizeit ausschließlich individuell beziehungsweise zusammen mit ihren Freunden selbst steuern und ohne institutionalisierte Vorgaben und Autoritäten in selbstbestimmten und funktionsoffenen Erfahrungs- und Lernräumen erleben.

Das Maß der sozialen und ethnischen Durchmischung variiert abhängig von den jeweiligen Freizeitaktivitäten. Jugendliche, die ihre Freizeit vorwiegend in kollektiv-institutionalisierten Strukturen verbringen, finden dort eine soziale Gemeinschaft vor, in die sie sich einfügen. Die Kontaktmöglichkeiten werden durch die bestehenden Beziehungsnetzwerke im Kollektiv bestimmt. Jugendliche, die ihre Freizeit selber beziehungsweise mit ihren Freunden steuern, organisieren ihre Beziehungsnetzwerke in den von ihnen genutzten Sozialräumen eigenständig. Diese Sozialräume sind oft niederschwellig, frei zugänglich und damit auch für die Durchmischung förderlich.

Die Auseinandersetzung mit dem Freizeitverhalten der SchülerInnen verweist auf zahlreiche Möglichkeiten der Förderung von Bildungsgerechtigkeit. Über Kooperationen mit Vereinen oder durch unterschiedliche Angebote der Offenen und Mobilen Jugendarbeit können SchülerInnen, die bisher ihre Freizeit stark selbstgesteuert gestalten, an qualitativ andere Freizeitaktivitäten herangeführt werden. Diese gestatten ihnen im außerschulischen Bereich den Erwerb von Fertigkeiten und Erfahrungen in einer Gemeinschaft, ohne dass sie dies mit schulischem Lernen assoziieren.

Dabei ist wichtig, dass die Jugendlichen durch diese Aktivitäten mit anderen sozialen Gruppen und Milieus in Kontakt kommen. Über die soziale Durchmischung im jeweiligen Sozialraum entstehen Kontakte zu Bezugs- und Schlüsselpersonen außerhalb der eigenen sozialen Gruppe. Diese öffnen Türen zu Interessen und Beschäftigungen, die Entwicklungsmöglichkeiten für die Jugendlichen bieten.

In der Kooperation von Schulen mit Akteuren im Sozialraum (Vereine, Quartiersinitiativen und Interessensplattformen, Offene Jugendarbeit etc.) liegt deshalb ein großes Potenzial für die Förderung von Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Diese Kooperationen schaffen für alle Beteiligten neue Wirkungsräume.

Das Freizeitverhalten der SchülerInnen bietet also Ansätze zur Förderung von Chancengerechtigkeit im außerschulischen Bereich. Durch die Kooperation unterschiedlicher Akteure können zusätzliche Begegnungsräume außerhalb der Schule geschaffen werden, die neue Gelegenheitsstrukturen und Möglichkeitsräume für Jugendliche öffnen. Indem das Forschungsprojekt auf der Basis der gewonnenen Ergebnisse praxisrelevante Handlungsfelder für die schulischen und die außerschulischen Akteure beschreibt, sollen Impulse für die Förderung von Chancengerechtigkeit gegeben werden.

Die gesamte Studie wird vorgestellt! 
Die Präsentation findet am
10. Januar 2019 von 15.00 bis 17.00 Uhr
an der Fachhochschule Vorarlberg, Raum W2 07/08 (2.OG) statt.

  Foto: Cornelia Hefel
Autorin Dr.in Eva Häfele Autor Dr. Simon Burtscher-Mathis
 ist freischaffende Sozialwissenschafterin
mit den Forschungsschwerpunkten Jugend, Zuwanderung, Arbeitsmarkt und Frauen.
Nach dem Studium der Ostasienwissenschaften in Wien und Beijing war sie beruflich
in China, in den USA und im europäischen Ausland tätig.
ist freischaffender Soziologe und Organisationsentwickler
mit Arbeits- und Forschungsschwerpunkten
in den Bereichen Gestaltung von sozialem Wandel und Integrationsprozessen im Kontext gesellschaftlicher Vielfalt, Aufbau und Entwicklung von Kooperationsstrukturen, Förderung von Chancengerechtigkeit in und außerhalb des Bildungssystems.

 

 

 

 

 

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