Was ist schon Realität und wohin führt Normalität? Sind Wege gekennzeichnet und wer zeigt mir den EINEN richtigen Weg? Gibt es diesen überhaupt? Geht es nicht schneller und leichter, zugehörig zu sein? Und wenn wir davon ausgehen, dass ein Maß an radikal zu sein akzeptabel ist, stellt sich sogleich die Frage nach einer Definition. Auch ist nicht weniger bedeutend, wie, wann und wer Grenzen des Radikal-Seins festlegt. Bin ich nun radikalisiert, wenn ich, wie es so gerne heißt, „streng gläubig“ bin oder eine radikale Gruppierung wie die rechte Szene als spannend und interessant wahrnehme? So leite ich über zur Thematik in diesem Artikel und bin davon überzeugt, dass oft „nachgeplappert“ wird. Das selbständige Denken ist mit Aufwand und Mühe verbunden. So könnte gesagt werden, ich gehe den leichten Weg und „plappere nach“!
Wir alle haben Meinungen zu Themen und sind täglich mit Wortfloskeln wie „So sind SIE eben, WIR sind nicht so, WIR müssen zusammen halten usw.“ konfrontiert. Es zeigt sich, dass der Mensch in Gruppen-Konstrukte eingeordnet wird. Daraus resultiert oft, dass die Gruppe für das Verhalten einer einzelnen Person in der Gruppe Verantwortung „trägt“ und die Zuschreibung erhält – DIE SIND DOCH ALLE SO!
Grundsätzlich geht es um das Individuum und dessen Rolle in der Gesellschaft. Menschen suchen nach Zugehörigkeit und Halt. Festzustellen ist weiter, dass diese Bedürfnisse schnell erfüllt werden sollen. Auch gehorsam zu sein ist eine Erleichterung. Entscheidungen werden abgenommen, so paradox dies auch erscheint.
Menschen haben Meinungen und dies genügt manchen nicht. Sie möchten diese Meinung weiter tragen. Dies nennt sich Aktivismus. Ist dies für besagten Menschen noch nicht ausreichend und werden dessen Bedürfnisse nicht befriedigt, so besteht die Möglichkeit der Verbreitung der Meinung mittels Gewalt. Hier befinden wir uns im Bereich der Radikalisierung. In der Folge geht dies dann möglicherweise in Terror über. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von dichotomen Bildern, es gibt ein Richtig oder Falsch, ein Gut oder Böse. Graustufen dazwischen erscheinen irrelevant.
Deutlich wird, dass die Präventionsarbeit gefördert werden muss. Mit dieser Form der Arbeit wird es möglich, Menschen wieder zu selbständigem Denken zu ermächtigen. Die eigenen Ressourcen werden aktiviert. Somit ist es notwendig, dass wir nicht Meinungen überstülpen, sondern vielmehr aufklären und zulassen, dass unser Gegenüber Meinungen bilden darf sowie zu reflektieren lernt. Die Bedürfnisse der Menschen müssen bewusst wahrgenommen werden. Sehen wir nur den Faktor der Radikalisierung, blenden wir tausende von anderen Themen aus.
Dies bedeutet im Kontext, dass wir als Fachpersonen eine hohe Selbstreflexion mitbringen und uns klar mit den Themen Klischees und Vorurteile auseinandersetzen müssen.
Ich verdeutliche an einem Beispiel: Ein junger Mann schildert, dass es in Österreich keine Fälle von sexuellem Missbrauch geben würde, wenn alle Frauen verschleiert wären. Mein erster Gedanke ist ganz oft, dass ich hier gegenhalten muss und seine Meinung unfassbar ist. Jedoch begebe ich mich in dieser Situation auf die Metaebene und werde kreativ. Ich nehme ein Blatt Papier, lege es vor den Klienten und sage: „Dies ist eine interessante Sicht. Ich kann deine Gedanken nachvollziehen, bin jedoch mit dieser Lösung nicht einverstanden. Zeichne bitte eine Stadt und alle Frauen in dieser Stadt sind verschleiert, du bekommst nur einen schwarzen Stift.“ Der junge Mann zeichnet und ich frage dann: „Was zeigt dir dieses Bild? Und worauf achtest du bei der Frau?“ Nun sehe ich Verwirrung in dessen Augen, er ist perplex. Ich kann deuten, dass er sich die Frage nach dem Sinn der Zeichnung stellt. Diese Form der paradoxen Intervention bietet die Möglichkeit aufzuzeigen, dass sexuelle Begierde auch „verschleiert“ Teil des Menschen ist. So bemerkt der Klient selbst, dass die Zeichnung nun doch noch etwas anderes ausdrückt, als er zu Beginn auszudrücken dachte. Er erklärt, dass er verstanden hat, was ich meine – Frauen werden auch verschleiert als Frauen wahrgenommen und sind trotz Schleier attraktiv. Klar wird ihm, dass die Frau nicht nur ein Strich auf dem Blatt Papier ist, sondern er deren Silhouette wahrnimmt. Weiter sprechen wir über das Thema Männlichkeit, Begierde und sexuelle Neigungen. Hier werden nun die eigentlichen Bedürfnisse des jungen Mannes deutlich.
Diese Methode ist eine Möglichkeit, den Blick zu erweitern und neue Denkmuster anzuregen. In diesen Settings wird Emotion mit Aussagen verbunden. Extremismusprävention wird somit effizient. Der junge Mann beginnt selbständig zu denken und setzt sich mit seinem Gesagten auseinander. Hinzu kommt, dass in Beratungskontexten (Einzeln sowie Gruppe) auf die Sprache geachtet werden muss. Ich verwende explizit kein WIR, DIE ANDEREN, DU BIST usw.
Bedeutend wird, dass ich mich mit mir als Fachperson auseinandersetzen muss. Denn wir alle sind mit Klischees und Vorurteilen behaftet. Erwähnen möchte ich, dass es nicht zielführend ist, Themen zu tabuisieren. Auch sind klare Haltungen notwendig, jedoch erhalte ich mit kreativen und paradoxen Methoden individuelle Zugänge. So sagte eine Klientin zu mir: „Nachplappern ist irgendwann langweilig, selbständiges Denken lässt mich Neues lernen! Und ich verstehe Sie jetzt, denn leichter ist das Nachplappern, aber das will ich nicht mehr.“
Wenn Sie befürchten/beobachten, dass sich Kinder/Jugendliche, Geschwister, FreundInnen, Bekannte, SchülerInnen oder Eltern einer radikalen Gruppierung zuwenden oder sich intensiv mit radikalem Gedankengut beschäftigen, so sind wir von der ifs Extremismusprävention Ansprechpartner:
Benjamin Gunz
ifs Extremismusprävention
Schillerstraße 18 / 6800 Feldkirch
Telefon 05-1755-507
extremismuspraevention@ifs.at