Unser Hirn entwickelt sich, je nachdem wie wir es einsetzen. Die Neurobiologie, also die Hirnforschung, kann in den letzten 20 Jahren einige markante Veränderungen nachweisen. Unter anderem ist bei Jugendlichen heute jene Region im Gehirn, die für die Steuerung der Daumen zuständig ist, doppelt so groß wie früher. Gleichzeitig wird festgestellt, dass auf optische Reize viel schneller reagiert werden kann. Wenn sich Kinder vorwiegend über Chats mit ihren „Peers“ (Gleichaltrigen) unterhalten, bleibt jene Hirnregion, die für die Deutung der nonverbalen Kommunikation zuständig ist, unterentwickelt.
Gleichzeitig ist belegt, dass der Zugang zu Inhalten und Seiten, die nicht für das jeweilige Alter gedacht sind, immer früher vorhanden ist. Dies betrifft Seiten, auf denen Gewalt und explizit sexuelle Handlungen darstellen genauso wie das sog. „Darknet“ (ein verstecktes Netzwerk, das illegale Inhalte von urheberrechtlich geschützten Dateien bis hin zu Waffen anbietet).
Faktoren, die gegen Sucht sprechen.
Der Umgang mit Smartphones ist mittlerweile bei fast allen Eltern, die zu uns an die Beratungsstelle kommen, ein großes Thema. Eine Frage, die dabei oft auftaucht ist, ab wann das Medienverhalten schädlich ist.
Wichtig ist laut dem Suchtpsychiater Dr. Kurosch Yazdi (Kepler-Klink Linz) hierbei, dass die „Vielfältigkeit“ beim Kind nicht verloren geht. Solange Kinder
- soziale Kontakte außerhalb der virtuellen Welt haben (Freunde treffen, etc.)
- (weiterhin) in Vereinen engagiert sind
- Sport betreiben und in der Natur unterwegs sind
- ihre Schulpflichten erfüllen
- sonstige Pflichten (Haushalt, etc.) erfüllen
können wir davon ausgehen, dass kein Suchtverhalten vorliegt.
Präventive Maßnahmen, wenn das Kind ein erstes Handy bekommt.
Ideal ist es, wenn mit dem Kind der Medienkonsum bereits vor dem Erhalt des ersten eigenen Gerätes thematisiert wird. Eltern geben dem Kind einen klaren Rahmen zur Nutzung des Internets und kündigen dem Kind auch an, dass zu Beginn eine engmaschige Begleitung erfolgen wird. Diese beinhaltet, dass zu Beginn regelmäßig Verläufe gemeinsam angesehen werden und nachgeschaut wird (in der Regel im Beisein des Kindes und nicht heimlich!), was in Gruppenchats geschrieben wird. Außerdem wird angekündigt wie die Eltern vorgehen werden, wenn der Rahmen vom Kind nicht eingehalten wird.
Es können Zeiten definiert werden, die medienfrei sind. Eine solche Vereinbarung könnte bspw. folgendermaßen aussehen:
- Wir nehmen das Smartphone erst nach dem Frühstück aus der Ladestation
- Wenn wir nach Hause kommen, geben wir das Smartphone für eine halbe Stunde in die Ladestation, um uns gegenseitig zu erzählen, was wir erlebt haben
- Wenn das Essen fertig ist, legen wir unsere Smartphones für eine Stunde in die Ladestation, um gemütlich zu essen und Zeit füreinander zu haben.
- Am Abend sind die Smartphones ab 20 Uhr in der Ladestation.
Diese Zeiträume sind klar definiert und deshalb ist die Einhaltung gut überprüfbar.
Es ist unsere Aufgabe, den Kindern zu vermitteln, dass man nicht ständig erreichbar sein muss und dass Nachrichten auch warten können. Deshalb müssen medienfreie Zeiten, wie oben vorgeschlagen, für alle gelten.
Teil dieser Vereinbarung sollte gerade zu Beginn auch sein, dass die Nutzung der sozialen Medien nur in gemeinsamen Räumen erfolgt. Am besten können wir unsere Kinder beim Umgang mit Medien begleiten, wenn wir sie damit nicht alleine lassen. Zu schnell gerät man mit wenigen Klicks auf Seiten, die nicht für Kinder gedacht sind.
In der Regel reagieren Kinder sehr positiv, wenn sie merken, dass ihre Eltern sich dafür interessieren, was sie so machen – das gilt auch für Aktivitäten an elektronischen Geräten. „Zeig mir einmal, was du dir da immer für Videos anschaust.“ oder „Ich möchte gerne einmal mit dir dein Lieblingsspiel auf der Konsole spielen. Zeigst du mir, wie’s geht?“ können dazu führen, dass die Kinder vor Begeisterung bei ihren Ausführungen „sprudeln“.
Wichtig ist, dass wir den Ausführungen vorwurfsfrei zuhören, aber trotzdem klar benennen, wenn wir mit etwas nicht einverstanden sind.
Und wenn es trotz allem schwierig wird…
Sollte der Eindruck entstehen, dass die Kinder etwas verbergen wollen, kann man ihnen mitteilen, dass einem das Sorgen bereitet: „Ich habe das Gefühl, dass du nicht möchtest, dass wir wissen, was du da machst. Das lässt uns vermuten, dass du Dinge machst, über die wir uns Sorgen machen müssen. Wir werden dich in nächster Zeit öfters dazu fragen.“.
In weiterer Folge vermeiden wir allgemeine Aussagen wie „Du hängst immer am Handy!“, denn damit geben wir Kindern und Jugendlichen wenig Orientierung, was wir von ihnen wollen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns zuerst klarwerden, welche Verhaltensweisen für uns nicht tolerierbar sind („Du triffst dich nicht mehr mit Freunden!“, „Du betreibst keinen Sport mehr.“, etc.).
Oft kann es wichtig und notwendig sein, dass wir interessante Alternativen zum Medienkonsum anbieten. Dies kann sein, dass man gemeinsam etwas erledigt genauso, wie man etwas spielen kann, jemanden besucht, einer sportlichen Aktivität nachgeht oder einfach einen Spaziergang macht.
Technische Lösungen als Unterstützung.
Es besteht eine Vielzahl an Apps und anderen Anwendungen, die man herunterladen und kaufen kann und die uns versprechen, elektronische Geräte kindersicher zu machen. Das tun sie auch, allerdings werden die Erwachsenen dadurch nicht aus ihrer „wachsamen Sorge“ entlassen. Dann einerseits gibt es keine 100%ige Sicherheit durch die Apps. Andererseits besteht auch über die Geräte der „Peers“ Zugang zu nicht jugendfreien Inhalten. Und nicht zuletzt findet sich zu jeder Schutz-Software eine Anleitung im Internet, wie man sie einfach umgehen kann.
Einseitige Maßnahmen.
Sollten alle Maßnahmen der Begleitung des Kindes nicht den gewünschten Erfolg bringen, und das Kind trotzdem Aktivitäten mit den elektronischen Geräten setzen, dann verlangt dies von den Eltern Schutzmaßnahmen. Dies sind „einseitige Maßnahmen“, d.h. sie werden nicht mehr mit dem Kind verhandelt.
Meistens sind es die Eltern, die für die Infrastruktur sorgen, indem sie Geräte zur Verfügung stellen, ein W-LAN anbieten, einen Datenvertrag abschließen, etc. Wenn man dadurch als Eltern quasi zu „BeitragstäterInnen“ bei gefährdendem Verhalten wird, haben wir die Pflicht, unser Kind zu schützen und deshalb einseitige Maßnahmen zu setzen. Wichtig ist, dass wir diese nie in der Emotion tätigen und sie den Kindern im Voraus ankündigen: „Wenn wir das nicht in den Griffe bekommen, müssen wir Folgendes tun!“.