Das Vorarlberger Jugendgesetz wurde im vergangenen Jahr überarbeitet und tritt diesen Frühling in Kraft. Ausgangspunkt war eine 2015 durchgeführte Befragung von rund 1.100 Jugendlichen.
Während einige Nachbarländer überhaupt kein Jugendgesetz haben, gibt es in Österreich gleich neun unterschiedliche. Eines für jedes Bundesland.
Abgesehen von dieser Vielfalt liegt es wohl auch an der Dynamik, mit der sich die Lebenswelten von Jugendlichen und Kindern entwickeln, dass es immer wieder Bestrebungen gibt, diese Gesetze zu überarbeiten. So hat auch die Vorarlberger Landesregierung 2014 entschieden, das Jugendgesetz zu evaluieren und anzupassen. Um das Gesetz möglichst auch im Sinne der Betroffenen zu verbessern, sollten Jugendliche und ExpertInnen bereits frühzeitig beteiligt werden.
Zu Recht werden diese Prozesse manchmal als scheinheilig kritisiert.
Was genau Beteiligung in solchen Fällen bedeutet, ist nicht immer klar. Zu Recht werden diese Prozesse manchmal als scheinheilig kritisiert. Damit Sie als LeserIn sich eine eigene Meinung bilden können, beschreibe ich den Beteiligungsprozess rund um das Jugendgesetz im Folgenden näher.
Prozess
Im März 2015 wurden wir (Kairos) damit beauftragt, eine Untersuchung des Vorarlberger Jugendgesetzes durchzuführen. Ziel war es, ein möglichst umfassendes Stimmungsbild unter Jugendlichen und ExpertInnen zum Jugendgesetz einzufangen:
Wie denken die betroffenen Personen über das Jugendgesetz? Was passt, was muss geändert werden?
Die Ergebnisse sollten dann im politischen Prozess als Informationsgrundlage für weitere Entscheidungen dienen. Für uns galt es, mit begrenzten Mitteln – rund 160 Arbeitsstunden waren veranschlagt – einen möglichst umfassenden Einblick zu erlangen.
Erhebung
Um mit den Ressourcen möglichst effizient zum Ziel zu gelangen, wurden drei unterschiedliche Methoden angewandt:
1) Eine Online-Umfrage:
Damit sollte eine möglichst große Zahl von Jugendlichen erreicht werden. Über drei Monate wurden Jugendliche mit 15 Fragen zu acht Themen des Jugendgesetzes befragt. Sie konnten die unterschiedlichen Aspekte des bisherigen Gesetzes bewerten und gleichzeitig auch Vorschläge zur Verbesserung machen.
Die Umfrage wurde über Schulen sowie die Verbandliche und Offene Jugendarbeit gestreut und ist von 1.117 Jugendlichen ausgefüllt worden. Die hohe Anzahl an Beantwortungen lässt sich wahrscheinlich durch die Verfügbarkeit von Smartphones erklären: Das Ausfüllen einer Umfrage am Handy ist kurzweilig und passt so in das Kommunikationsschema der Sozialen Netzwerke.
2) Diskussion und Befragungen via Jugendarbeit:
Um die Daten aus der Online-Befragung zu komplementieren, sind persönliche Interviews und vertiefende Gespräche mit Jugendlichen aus Sicht der qualitativen Sozialforschung sinnvoll. Allerdings sind solche Interviews sehr zeitaufwändig. Daher wurde diese Komponente an die Jugendarbeit ausgelagert. MitarbeiterInnen aus der Offenen Jugendarbeit sowie aus Jugendorganisationen erhielten einen Diskussionsleitfaden, um das Thema mit „ihren” Jugendlichen zu behandeln. Über ein Feedbackformular konnten die Positionen und Meinungen der Jugendlichen an uns rückgemeldet werden.
3) ExpertInneninterviews:
Neben den Jugendlichen selbst, wurden auch 15 ExpertInnen zum Jugendgesetz befragt. Ziel dieser leitfadengestützten Interviews war es, mit jenen Personen über das aktuelle Jugendgesetz zu sprechen, die im Rahmen ihrer Arbeit Erfahrungen mit ihm machen. Dazu gehörten ElternvertreterInnen, die Polizei, MitarbeiterInnen aus verschiedenen Verwaltungsabteilungen, der Jugendarbeit, der Sozialarbeit sowie aus der Gastronomie.
Ergebnisse
Anschließend wurden alle Ergebnisse in Form eines Positionspapiers zusammengefasst. Es sollten dabei keine Wertungen und Schlüsse gezogen, sondern unterschiedliche Positionen aufgezeigt und eingeordnet werden.
Zu zehn zentralen Themen (Ausgehzeiten, Übernachten außer Haus, Konsum von Alkohol, Tabakwaren, Gefahren für Jugendliche, Förderung Jugendlicher, Beteiligung, Bestrafung, Harmonisierung und Formulierung des Gesetzestextes), die in der Umfrage und in den Interviews angesprochen wurden, konnten wir insgesamt 52 unterschiedliche Positionen identifizieren.
Interessanterweise sprachen sich viele Jugendliche für einen Erhalt des Status Quo aus.
Eindeutige Bestrebungen nach Liberalisierung gab es nur bei den Ausgehzeiten (frei ab 16) sowie beim Übernachten außer Haus (ebenso frei ab 16). Neben der vielfachen Bestätigung für die existierenden Regelungen waren die besorgten Einschätzungen der Jugendlichen bei den Gefahren bemerkenswert. Sie sehen Jugendkriminalität, Gewalt sowie Drogen und Alkoholmissbrauch als Bedrohungen, die konsequente Gesetze erforderlich machen.
Hier weichen die Einschätzung der „konservativen“ Jugendlichen von jenen der ExpertInnen ab. Diese unterstrichen in den Interviews vielmehr die Notwendigkeit, Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein der Jugendlichen durch andere Maßnahmen zu stärken und sprachen sich teilweise für Lockerungen im Jugendgesetz aus.
… und wie kamen die 52 Positionen ins neue Gesetz?
Eine Dialogveranstaltung mit rund 50 Jugendlichen sollte aus den 52 Positionen prägnante Empfehlungen für die Landesregierung entwickeln.
Aufgrund mangelnder Anmeldungen musste diese allerdings abgesagt werden. Stattdessen wurden die Positionen von den ExpertInnen verdichtet und in Abstimmung mit dem Landesjugendbeirat Anfang 2016 an die Landesregierung übergeben.
Der Kontrast zwischen hoher Beteiligung bei der Online-Umfrage und der abgesagten Dialogveranstaltung zeigt sowohl das Potential, als auch die Herausforderung von derartigen Beteiligungsprozessen auf.