Teil 1: A bis Z spricht vom WIR – doch was und wie ist WIR eigentlich?
Gestern wurde in den Medien berichtet, dass Ausländer A. und Bürger K. ein Amtsgebäude beschmiert haben. 23:30 Uhr soll es gewesen sein. Die Farbe ist heute um 08:00 Uhr noch leicht nass und rinnt am Gebäude herunter, welches Haltungen, Werte und Sinn unseres Gesellschaftskonstrukts vermitteln soll.
Mädchen W. bewundert dies mit Stolz und benennt die beschriebene Beschmierung Kunst. „Ein Graffiti!“, erklingt es aus ihrem Mund. Reicher Herr V. zeigt sich entrüstet und meint dazu, dass WIR SteuerzahlerInnen die Entfernung dieser Beschmutzung auch noch bezahlen müssen. Seine Schwägerin M. grinst und betont mit Ärger, dass ihn diese paar Euros wohl nicht ruinieren würden. Ein Jugendlicher namens B. fährt mit dem Skateboard vorbei, blickt an der Wand hoch, nimmt mit Überzeugung eine Spraydose aus seinem Rucksack und setzt einen schlichten Punkt an die Wand. Er blickt in die Runde, erhascht den verwunderten Blick des achtjährigen P. und sagt: „Der hat noch gefehlt und ich will Teil dieses Kunstwerkes sein!“ Auch der achtjährige P. will Teil sein. Dazugehören ist gut, so hat er es in der Schule gelernt. Er schlendert vorbei und spuckt mit einem stolzen Grinsen an die Wand. Darauf die vorbeispazierende Frau D. zum Achtjährigen: „So ist es gut, eine Schande diese Beschmierung – Gott sei Dank sehe ich in dir, dass unsere Zukunft doch wieder werden kann.“ Hoffnung blitzt in ihren Augen auf. Der Achtjährige weiß nicht, was er von dieser Aussage halten soll und trottet mit großen Schritten zu seiner Mutter F., wo er berichtet, dass er nun überall hinspucken wird. Die ältere Schwester C. hört dies und schimpft mit ihm. Sie verbietet ihm dieses respektlose Verhalten, da dies typisch für Ausländer sei, so belehrt sie ihn. „Diese haben auch keinen Anstand!“, meint sie und betont: „So sind WIR hier nicht!“ Onkel Z. hört interessiert zu und fügt an, dass diese Beschmierung nicht von UNSEREINEM kommen könne. Er habe gehört, dass der österreichische Staatsbürger K. vom Ausländer A. manipuliert und zu dieser Schandtat gezwungen worden sei.
Versteckt lauschen Ausländer A. und Bürger K. hinter einem naheliegenden Busch dem regen Treiben. Bürger K. lacht heldisch und sagt zu A., welcher in Vorarlberg geboren wurde: „So haben wir nun unsere Bestätigung erhalten, keiner hat sich gefragt, was unser Kunstwerk ausdrücken soll – und doch haben alle Urteile gefällt und sich von Klischees und Vorurteilen leiten lassen. Ich kenne diese Menschen nicht und sie mich auch nicht!“
Wenn es um Extremismen geht, welche schon lange Teil der Gesellschaft sind, werden diese leider zu oft mit dem Thema Flüchtlinge, Ausländer und dem Bösen in Verbindung gebracht. So sollte sich jeder Einzelne aber die Frage stellen, was das eine mit dem anderen zu tun hat! Sichtweisen sind unterschiedlich und zu beobachten ist, dass Menschen sehen und hören, was sie sehen und hören wollen. Jede/Jeder Einzelne hat individuelle Bedürfnisse und will bedeutend sein – „DAZUGEHÖREN“. Ein WIR ist gewünscht, doch so viele unterschiedliche gibt es und wie soll ich im WIR ICH sein? Darf ICH ein eigenständiges WIR sein und welche Rolle spielen Werte und Haltungen?
Sind Sie sich Ihren Vorurteilen und Klischees bewusst – denken Sie selbständig oder lassen Sie sich leiten? Bedeutend ist, dass das „Normalsein“ seinen Reiz verloren hat und das EXTREMsein besonders zu sein bedeutet. Um Radikalisierungen entgegenzuwirken, ist es an der Zeit, hinter die Kulissen zu blicken. Welche Bedürfnisse verbergen sich im „Dunkeln“? Wollen WIR – was aus vielen WIRs, ICHs und vielen UNS besteht – tatsächlich Vorurteile und Klischees triumphieren lassen?
A. betrachtet nicht wie B. und B. nicht wie Z., was auch nicht möglich sein wird. Stellen Sie sich die Frage nach dem WIR und werden Sie sich bewusst, dass wir, wenn wir alle ICHs (Individuen) sind und uns gegenseitig akzeptieren, aufeinander angewiesen sind. Eine Bereicherung für jeden Einzelnen im Gesamten.
Teil 2: „Gefühlt wurde er/sie über Nacht radikal!“ – Doch was geschah davor?
Es stellen sich bei jeder Form einer Radikalisierung die Fragen: Was wurde übersehen?
Wo habe ich nicht hinsehen wollen? Was geschah davor? Habe ich zu viele Freiheiten gelassen? – Und was kann ich nun tun?
Wie erkenne ich, dass sich meine Kinder/Geschwister/FreundInnen/SchülerInnen oder Eltern einer tatsächlich radikalen Gruppierung zugewandt haben? Gibt es eindeutige Merkmale?
Um diese Frage gut beantworten zu können, muss ins Detail gegangen werden.. Grundsätzlich wird vom Radikalisierungsprozess gesprochen. Hinzu kommt, dass jede Person eine Meinung zu verschiedenen Themen hat. Wenn dies nicht nur deren eigene Meinung bleibt, geht es in den Aktivismus über. Das bedeutet, dass die Meinung/Meinungen aktiv beim Gegenüber platziert werden. Ist dies nicht ausreichend, können extremistische Tendenzen folgen. In dieser Phase wird Gewalt legitimiert und als Möglichkeit gesehen, um deren Meinungen weiter zu bringen. Ist die Person bereit SELBST Gewalt auszuüben wird vom Terrorismus gesprochen. Extremismus ist breitgefächert, beispielsweise: Linksextremismus, Rechtsextremismus, religiös inspirierter Extremismus, militante Organisationen, usw.
Daraus resultierend können im Verlauf einer Radikalisierung folgende Merkmale und Anzeichen bedeutend sein. Dabei ist es entscheidend zu wissen, dass diese Anzeichen auftreten können, jedoch nicht müssen. Häufig treten diese in Kombination auf:
– Kleidung / Kleidungswechsel / Kleidungswandel
– sozialer Rückzug / bis hin zur Isolation
– Missionierungsgedanke (z. B. Musik/Videos, usw.)
– Veränderung des sprachlichen Ausdrucks
– „Jenseitsorientierung“
– Radikaler Wechsel des Freundeskreises
– Abwertung sowie absoluter Wahrheitsanspruch
– Antipluralismus (Nicht-Akzeptanz unterschiedlicher Lebenseinstellungen/ Lebensstilen und
Weltanschauungen)
Welche Unterstützung kann ich einer betroffenen Person im engeren Umfeld auch als „Laie“ geben?
Ich kann hier empfehlen, nicht mit Gegenpolen zu arbeiten. Eine Macht gegen die andere Macht bringt Gespräche zum Abbruch und erzeugt den Eindruck eines Ungleichgewichtes. Achten Sie darauf, dass sie nicht ein Gefühl des „du hast nicht recht / du liegst falsch“ erzeugen. Versuchen sie mit der Person ins Gespräch zu kommen ohne einen „Überzeugungsmission“ im Hinterkopf zu haben. Eltern/LehrerInnen/Geschwister/ Fachpersonen empfehle ich, dass sie genügend Zeit für ein Gespräch einplanen. Empfehlen Sie als Laie betroffenen Personen (z.B. Eltern) mittels ICH-Botschaften zu kommunizieren. Achten sie auf Warnsignale im Gespräch (z. B. Anerkennung, Zugehörigkeit, Missionierung, usw.). Vermeiden Sie in der Sprache das WIR und DIE (ANDEREN), Hinterfragen sie mit Sätzen wie beispielsweise: „JA, doch wie…“ Bauen sie Vertrauen auf und lassen sie zu, dass Manches erst im nächsten Gespräch geklärt werden kann. Auch ist folgender Satz von Bedeutung: „Du bist OK! Was du sagst, finde ich nicht OK.“ Und grundsätzlich ist es WICHTIG zu erkennen, dass nicht jede Aussage Terror ist. Provokationen sind oft Gesprächsangebote!
Welchen Stellenwert haben Gender-Themen im Extremismus? Sind sexistisches und homophobes Verhalten erste Warnsignale?
Die Berücksichtigung sowie das Bewusstsein von Gender-Themen sind wichtige Baustein für eine gute Arbeit in der Extremismusprävention. Wird beispielsweise im Gespräch auf zuschreibende/geprägte Worte wie, „WIR hier“, „ICH und DU“, „die ANDEREN“, „FRAU muss so SEIN, MANN ist SO“, zurückgegriffen, wird ein Gefühl der Enge erzeugt. Je vielschichtiger das Gespräch ist, desto mehr Möglichkeit zur Reflexion wird gegeben. In Gesprächen geht es oft um Frau-Sein, Mann-Sein, aber auch darum, welche Pflichten und Rechte diese haben.
Vorurteile und Klischees prägen uns, was bedeutet, dass diese hinterfragt werden müssen. Das Ziel im Gespräch ist es, selbständiges Denken zu aktivieren. Es wird die Frage nach Warnsignalen gestellt und Bezug auf sexistisches sowie homophobes Verhalten genommen. Diese Verhaltensweisen können, müssen aber nicht, im Radikalisierungsprozess auftreten.
Prinzipiell kann nicht von DER EINEN RADIKALEN PERSÖNLICHKEIT gesprochen werden. Persönlichkeiten entwickeln sich je nach eigener Geschichte und deren Umfeld, der Faktor der Zugehörigkeit spielt eine wichtige Rolle – ebenso wie das Bedürfnis gebraucht zu werden, einen Sinn im Leben zu haben.
Wenn Sie befürchten/beobachten, dass sich Kinder/Jugendliche, Geschwister, FreundInnen, Bekannte, SchülerInnen oder Eltern einer radikalen Gruppierung zuwenden oder sich intensiv mit radikalem Gedankengut beschäftigen, so sind wir von der ifs Extremismusprävention Ihr Ansprechpartner.
Benjamin Gunz
ifs Extremismusprävention
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