Wenn der Wunsch nach Frieden Grenzen überwindet und Synergien schafft
Vom Problem zur Chance
Migration und Flucht ist eines der am heißesten diskutierten Themen seit 2015 und war dementsprechend ein umkämpftes Feld im Wahlkampf um die Bundesregierung 2017. Die Angst vor geflüchteten Menschen und ihren Intentionen wird mit zunehmender Abgrenzung nicht kleiner – das Gegenteil ist der Fall. Viele Einrichtungen der Jugendarbeit bemühen sich um Integration, Unterstützung und Beteiligung junger Geflüchteter. Dabei stehen sie vor vielseitigen Herausforderungen hinsichtlich des Abbaus der Grenzen zwischen dem ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘.
Seit 2015 lote ich gemeinsam mit geflüchteten und in Vorarlberg geborenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Grenzen zwischen dem ‚Wir‘ und ‚den Anderen‘ aus. In interaktiven Theaterworkshops werden Konflikte zum Thema sichtbar und wir testen Veränderungswege spielerisch aus. Die freiwillig Teilnehmenden können sich ohne Vorkenntnisse oder besondere Fähigkeiten mit ihrem Erfahrungswissen in den Austausch einbringen. Die Methode Theater zum Leben fördert dabei den intuitiven Ausdruck mit Körpersprache und bringt individuelles Erfahrungswissen in gemeinsame Bilder. Dabei werden die Beteiligten in ihren eigenen Potentialen bestärkt, gewinnen erfahrbare Erkenntnisse und Verbindungen.
Die Diversität der bisherigen Beteiligten könnte kaum größer sein: Sie umfasst zehn Nationalitäten und Altersstufen von zehn bis siebzig Jahren. Das Thema ‚Wir und die Anderen‘ ist dabei nicht auf Grenzen zwischen Flüchtlingen und ‚Einheimischen‘ beschränkt. Gleich ob es um Hierarchien in Schule oder Arbeit, um Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Bildungsgrad, Religion und Nationalität geht, immer stellt sich die Frage wie wir unsere Unterschiede wahrnehmen: Lassen wir zu, dass sie uns trennen, oder erlauben wir Veränderung durch Begegnung? Dynamiken rundum das ‚Wir und die Anderen‘, kennen wir alle, sie spielen sich nicht nur in unseren Köpfen ab und sind oft mit Angst, Wut, Trauer, Einsamkeit und Hilflosigkeit verbunden. Die Ehrlichkeit, dass das Thema uns alle betrifft, schafft die erste Verbindung und ermöglicht es, die einzigartige Bedeutung des Konfliktthemas für eine Gruppe sichtbar zu machen. Oft zeigen sich Überschneidungen in den intuitiv geschaffenen Körperbildern, die zum Nachdenken anregen: Bilder zu Krieg und Gewalt in Herkunftsländern, sprachlichen Barrieren, Gewalt und Ausgrenzung unter Jugendlichen in Österreich, moralische und religiöse Unterteilung in guten und schlechten Menschen, das fremd- oder zugehörig-Sein. Ein Aspekt wurde vor allem von in Österreich sozialisierten Teilnehmenden wiederholt thematisiert: die Trennung, die durch Leistungsdruck und Wettbewerbsorientierung zwischen uns verstärkt wird, das ‚Ich und die Anderen‘. Die Bilder zu Veränderungsmöglichkeiten wiederum drehten sich oft ums Vertrauen an sich, ums Innehalten für das eigene Wohlbefinden, um Nähe, die Erfahrung des Gemeinsamen und Guten in allen Menschen, um die kleinen Gesten der Zuwendung und um das gemeinsame Ziel. Die Möglichkeit sich selbst und einander zu begegnen so wie wir wirklich sind, zeigte sich als von eine von Natur aus menschliche Qualität, von der uns Vorurteile, moralische Konzepte, Sprachbarrieren und aber auch die Hektik des Optimierungsdrucks in Bildungs- und Wirtschaftssystemen ablenken. Aus dieser Perspektive gesehen erfordert Integration Räume, denen Vertrauen vorausgeht, Eingebundenheit spürbar wird, moralische Konzepte offen ausgetauscht werden können, Kommunikationsbarrieren abgebaut werden und Beteiligung für ein gemeinsames Ziel geschehen kann. Integration kann dann eine heilsame Krise, aber auch ein freudvoller, ästhetischer Prozess sein.
Die Ahnung vom gemeinsamen Anliegen
In den Theater zum Leben Workshops werden unsere Bilder voneinander oft um einen Erfahrungswert reicher, der sich in Alltagsbegegnungen kaum ergibt. Es kommt häufig vor, dass sich Vorurteile und Ängsten im Kontakt unmittelbar auflösen. So zeigte sich bereits im ersten ‚Wir und die Anderen‘ Workshop 2015 ein Bruch im Bild von geflüchteten Menschen als Botschafter*innen von Krieg, Not und Gewalt: Ein syrisch-stämmiger Jugendlicher erklärte seine Statue im Theater-Bild als einen Menschen, der von der Miliz vor die Wahl gestellt wird: zu töten oder getötet werden. Es handelte sich um seine eigene Geschichte, er wählte damals die dritte Option und kam nach Österreich, um in Frieden zu leben und um Frieden zu leben. Immer wieder begegnete ich Menschen verschiedener Herkunftsländer, die vor der gleichen Entscheidung standen und einen riskanten Weg des Friedens wählten. So verstärkte sich die Ahnung vom gemeinsamen Anliegen: Denn ist es nicht genau auch der Wunsch nach Frieden, der hinter der Sorge um Instabilität durch Zuwanderung steht?
Die Friedenswirkstätte
Auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Persisch luden wir mit mehreren Vorarlberger Initiativen im Frühjahr 2017 zum Zusammenkommen aller Menschen, die Frieden bewirken möchten, ein. Kinderbetreuung ermöglichte auch Familien die Teilnahme bei den monatlichen Friedenswirkstätte-Tagen im Hohenemser ProKonTra. Über 40 Personen aus sieben Herkunftsländern nutzten diesen Raum für Begegnung, die Auseinandersetzung mit Frieden und den Aufbau einer gemeinsamen Friedenskultur, welche sprachliche, geschlechtliche, religiöse und generationale Grenzen integriert. Diese Friedenskultur entwickelte sich im Ausdruck über Körpersprache, Spiele und Bilder und im Austausch zu Friedens- und Konfliktthemen in Kreisdialogen. Die Struktur wurde von den Teilnehmenden mitbestimmt und orientierte sich am dem Prozess. In der Beteiligung ohne Leistungsdruck entstanden auch neue Projekte, die der Integration eine neue Gemeinwohl-Qualität verleihen und Synergien für Frieden schaffen. So wurde die Friedenswirkstätte von März bis Juni 2017 zu einem lebendigen Ort der Wertschätzung und Innovation, der hoffentlich Mut macht, um ganzheitliche und generationenübergreifende Integration jenseits vom ‚Wir und die Anderen‘ zu wagen.
TEILNEHMER*INNEN ÜBER DIE FRIEDENSWIRKSTÄTTE
Mohammed Ahmadi, Dalaas / Somalia:
Österreich gehört laut einem Bericht zu den zehn friedlichsten und Somalia zu den zehn gefährlichsten Ländern der Welt. Wenn man auf die Welt schaut, ist Europa einer der friedlichsten Kontinente der Welt. Dieser Frieden ist nicht einfach von selbst gekommen, sondern Menschen haben sich dafür entschieden, dass sie Frieden wollen und auch dann ist es nicht von selbst passiert. Jeder, der aus einem Land kommt, in dem Krieg herrscht, sucht irgendwie ein Leben in Frieden. Ich denke mir, mein Heimatland soll nicht gleich wie Österreich werden, aber auch so friedlich. Und jede Entwicklung geschieht mit Frieden. Ich möchte das, was ich hier gelernt habe, auch nach Hause bringen.
Ruka Alkafaji, Feldkirch / Irak:
Bei den zwei Anlässen, bei denen ich hier war habe ich gemerkt, dass es ganz unterschiedliche Ideen von Frieden gib. Für viele bedeutet Frieden einfach die Abwesenheit von Krieg, aber es gibt verschiedene Frieden. Für mich bedeutet es, dass man auch mit sich selbst zufrieden ist und auch zwischen den Religionen Frieden ist. Frieden hängt also nicht nur vom System ab, ob es kriegerisch ist, sondern auch von unseren Beziehungen zueinander. Z.B. hat es früher keinen Frieden zwischen Schwarzen und Weißen gegeben, oder im Irak zwischen den religiösen Gruppierungen. Frieden hat auch damit zu tun, dass man andere akzeptiert. Und ich sehe auch, dass wir jeder unsere eigenen Gedanken dazu haben. Von den geteilten Gedanken hier in der Friedenswirkstätte haben wir alle etwas für Frieden mitnehmen können.
Peter Mennel, Bregenz:
Ich arbeite beim Verein Vindex viel mit Menschen, die etwas brauchen. Da ist es oft so, dass es Probleme gibt und ich soll sie lösen. Das besondere an der Friedenswirkstätte für mich war es, wirklich auf Augenhöhe miteinander zu sein. Unsere Lebensgeschichten sind unterschiedlich und viele hier haben viel mehr durchmachen müssen als ich, aber hier begegnen wir uns als Menschen und da unterscheidet uns nicht mehr viel – wir sind so wie wir sind und wir können über dieselben Dinge lachen. Ich höre, dass für die Teilnehmenden das, was wir hier erlebt haben mit Friedensarbeit zu tun hat und als wichtig empfunden wird. Resonanz bedeutet auch, dass wenn mich etwas berührt, mich das auch ins veränderte Handeln bringt, darum wünsche ich mir, dass wir nicht nur darauf warten, wieder zu einer Friedenswirkstätte eingeladen zu werden, sondern dass wir diese Schwingung, die wir hier erfahren haben auch mit anderen Leuten teilen.
Mohammed Mohammed, Dornbirn / Somalia:
Friede hat viele Gesichter und wir haben alle unsere eigenen Vorstellungen von Frieden. Auf der Welt gibt es viele Ländern in denen Krieg herrscht und die Einwohner haben gespürt und erlebt, wie wertvoll Frieden ist. Es ist auch wichtig, dass man die Länder als Vorbild nimmt, die dauerhaften Frieden und Stabilität haben, damit mehr Menschen in Frieden und mit guter Perspektive leben können. Es ganz wichtig, dass es solche Veranstaltungen gibt, wo man über Frieden reden kann, das ist sehr mutig und darum bedanke ich mich für die Möglichkeit hier teilzunehmen. Wir hätten auch gerne weitere solche Veranstaltungen, es ist auch wichtig für unsere Integration. Danke.
Alason, Hohenems / Somalia:
Es würde uns alle freuen, wenn es mehr solche Veranstaltungen gäbe, das wäre sehr hilfreich. Ich glaube alle, die hierhergekommen sind wollen sich integrieren und die Friedenswirkstätte ist wichtig für unsere gemeinsame Integration. Ich persönlich freue mich über neue soziale Kontakte, aber die Verständigung ist schwierig. Jeder hat etwas von den anderen zu lernen – beispielsweise will vielleicht ein Iraker etwas vom Somalier wissen oder der Afghane vom Iraker – und das ist auch gut so.
Christian Hörl, Bregenz:
Die Friedenswirkstätte führte Menschen über Kontinente hinweg zusammen, die gegenwärtig alle ihren Lebensschwerpunkt in Vorarlberg haben. Es war sehr schön sich auszutauschen, völlig neue Eindrücke zu erhalten, miteinander zu lachen und traurig zu sein. Besonders gut hat mir das gemeinsame Gestalten eines Mandalas gefallen und die Dialoge haben gezeigt mit welch unterschiedlichen Blickwinkeln wir auf eine Fragestellung schauen können. Es ist schön, dass wir uns gegenseitig bereichern können.
Simone König, Dornbirn:
Was die Friedenswirkstätte für mich auszeichnet sind die freundschaftlichen Begegnungen, bei den verschiedenen Aktivitäten, Spielen und gemeinsamen Gesprächen. Das wirkt auch ganz stark über unsere Treffen hinaus. Beim ersten Treffen hat Julia die Frage gestellt, was wir für Frieden tun können und da ist auch die Frage aufgetaucht, wer von uns für Frieden betet. Ich hatte nicht das Gefühl zu diesem Kreis zu gehören, weil ich Beten mit Kirche und Religion verbunden habe. Eine Frau hat mir dann in einem anderen Kontext von einem Beispiel von einer anderen Form von Gebet erzählt, als sich in einer Stadt in einem Kriegsgebiet Menschen an verschiedenen Orten positioniert haben, die gleichzeitig für Frieden gebetet haben und es sei spürbar geworden, dass sich das Feld verändert hatte. Ich habe sie gefragt, wie denn diese Form von Gebetspraxis funktioniert. Sie erklärte, dass man sich mit seinem ganzen Sein in den Zustand hineinversetzt, in dem man sein möchte, also in einen friedlichen Zustand. Ich möchte gerne lernen und üben, so für Frieden zu beten.
Kathrin Salzmann, Bregenz:
Ich bin Lehrerin und habe in der Friedenswirkstätte mindestens so viele hilfreiche methodische Werkzeuge gelernt wie in meiner pädagogischen Ausbildung. Der Prozess und die Begegnungen waren schön, lustig, berührend, inspirierend. Jetzt auch in der Kleingruppe für das interkulturelle Radioprojekt weiterzuwirken macht mir große Freude.
Einige ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ Theater zum Leben Workshops wurden durchgeführt mit PartnerInnen der OJA, mit Unterstützung von okay.zusammen leben. Die Friedenswirkstätte wurde unterstützt von der Gesellschaft für Politische Bildung, von welcome.zu.flucht und der Stadt Hohenems.
Theater zum Leben Workshops zum Thema "Wir und die Anderen" / Friedenswirkstätte
Bildquelle: inkontra